Ungefähr vier Prozent aller Deutschen sind von Legasthenie betroffen. Die von der Lesestörungen Betroffenen erfahren oft schwerwiegende Nachteile im Alltag. Von schlechten Bewertungen in der Schule über Probleme bei der Suche nach einem Arbeitsplatz bis hin zu Ausgrenzungen im Privatleben reichen die Schwierigkeiten. Dabei hat Legasthenie nichts mit fehlender Intelligenz zu tun.
Was man unter Legasthenie versteht
Bei Legasthenie handelt es sich um eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Betroffene tun sich schwer, geschriebene Texte in gesprochene Sprache zu verwandeln und umgekehrt. Die Statistik zeigt, dass die Störung eher Jungen als Mädchen trifft. Bis heute tappen die Experten noch weitgehend im Dunkeln, was die Ursache von Legasthenie betrifft. Man vermutet, dass genetische Faktoren bei der Entstehung eine entscheidende Rolle spielen. Tritt die Störung bei Kindern auf, sind häufig auch die Eltern betroffen.
Anscheinend nehmen schon Säuglinge mit Legasthenie Sprache anders wahr als Babys, die nicht an der Störung leiden. Forschungen haben außerdem ergeben, dass jene Bereiche im Hirn, die in die Sprachverarbeitung involviert sind, bei Legasthenikern nicht synchron arbeiten. Aus diesem Grund haben Legastheniker auch Probleme mit der Konzentration beim Lesen.
Folgende Faktoren deuten ebenso darauf hin, dass in späteren Jahren eine Legasthenie entstehen kann
- Im Normalfall fangen Kleinkinder im Alter zwischen 18 und 24 Monaten an zu sprechen. Sie haben einen Wortschatz von rund 50 Wörtern. Bei rund einem Fünftel der Kinder kommt es zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung. Von diesem Teil wiederum ist die Hälfte später von Legasthenie betroffen.
- Legastheniker gibt es in allen Schichten: Bemerkbar macht sich jedoch, dass Kinder aus Familien wo die Eltern ein hohes Ausbildungsniveau haben, seltener an Legasthenie leiden. Vermutlich rührt das auch daher, dass sie den Kindern von Beginn an vorlesen und schon früh Hilfe suchen
- Experten haben außerdem entdeckt, dass bei Betroffenen eine veränderte visuelle Wahrnehmung vorliegt. Sie lesen langsam und können sich beim letzten Wort oft nicht mehr daran erinnern, wie der Satz begonnen hat.
Hilfe für Betroffene
Oft macht sich Legasthenie zu Schulbeginn bemerkbar, wenn die betroffenen Kinder beim Lesen nicht so große Fortschritte machen wie ihre Klassenkameraden. Frühes Handeln ist oberstes Gebot, denn je eher eine Legasthenie-Therapie begonnen wird, umso weniger eskaliert die Situation. Schüler, die schlecht lesen, werden mitunter von anderen gehänselt und wollen möglicherweise gar nicht mehr zur Schule gehen. Jedes Mal, wenn sie zum Lesen gerufen werden, befürchten sie Spott. Durch die steigende Nervosität klappt es mit dem Lesen immer schlechter, ein Kreislauf, den es mit einer geeigneten Therapie zu durchbrechen gilt.
Fördermaßnehmen sind dann besonders erfolgversprechend, wenn damit gleich nach der Diagnose begonnen wird. Einer der entscheidenden Faktoren einer erfolgreichen Therapie ist ein verständnisvolles Umfeld. Setzen die Eltern das Kind noch zusätzlich unter Druck, ist die Wahrscheinlichkeit auf eine Verbesserung der Situation geringer. Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die bei Legasthenie zum Einsatz kommen. Dazu zählt zum Beispiel die Binnendifferenzierung. Dabei geht es darum, dem Schüler innerhalb des Klassenverbands mit speziell auf seine Bedürfnisse abgestimmte Arbeitsblättern Hilfestellung zu gewähren. In manchen fortschrittlichen Schulen gibt es auch spezielle Fördergruppen, wo Betroffene ein oder mehrmals pro Woche zusammentreffen.
Auch externe Legasthenie Therapeuten gehören zum Netzwerk dazu. In der Einzelbetreuung oder in Gruppen erhalten die Betroffenen ein gezieltes Training und bekommen Strategien vermittelt, wie sie mit der Lesestörung umgehen können. Damit zu beginnen ist es nie zu spät. Auch für Erwachsene gibt es Kurse, um das Problem besser bewältigen zu können. Den Druck von Schülern nimmt der Nachteilsausgleich. Dieser wird auch Legasthenie Erlass genannt und bezeichnet einen Notenschutz für Kinder mit einer Legasthenie Diagnose. Damit sollen die Nachteile, die das Kind durch die Störung erfährt, ausgeglichen werden. Das jeweilige Kultusministerium in den Bundesländern legt die Bedingungen für den Nachteilsausgleich fest.
Auch die Psyche leidet unter Legasthenie
Oft dauert es Monate, wenn nicht sogar Jahre bis Legasthenie diagnostiziert wird. Bis dahin durchlaufen die Betroffenen eine schwierige Zeit. Zunächst einmal wird üblicherweise davon ausgegangen, dass das Kind einfach schlechter lernt als Klassenkameraden. Doch bald zeigt sich, dass es Buchstaben vertauscht und einfach nicht sinnerfassend lesen kann. Die Störung ist eine große seelische Belastung. Dem Kind widerfahren Spott und Hohn und es merkt, dass es anders ist als andere. Manchmal weitet sich das Problem über das reine Lesen hinweg aus: Die Kinder werden als „dumm“ angesehen und stigmatisiert.
Diese Behandlung hinterlässt tiefe Spuren in der Seele eines Kindes. Daher entwickeln viele psychosomatische Probleme. Zum Beispiel bekommen sie immer am Sonntagabend Bauchschmerzen, weil am Montag wieder der Schulbesuch ansteht. Auch Schlafprobleme können in Verbindung mit den Hänseleien in der Schule auftreten. Bis hin zu Depressionen reichen die psychischen Belastungen der Betroffenen. Wichtig ist, das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken. Es muss lernen, dass die Legasthenie nichts über die Intelligenz aussagt und dass es genauso liebenswert und gescheit ist wie andere Schüler.